«Wenn Maschinen mit uns beten»

Der Glaube stellt Fragen, auf die es selten einfache Antworten gibt. Und plötzlich steht da eine Maschine – bereit zu antworten. In Kapellen flackern Bildschirme, im Beichtstuhl erscheint ein Avatar und Martin Luther diskutiert per Livestream. Was einst undenkbar schien, ist heute Wirklichkeit: Künstliche Intelligenz als Gesprächspartner im Raum des Heiligen. Was sie taugt, zeigen vier exemplarische Projekte.

Jesus im Beichtstuhl

Nicht, um zu beichten, sondern um Fragen zu stellen, die man sich sonst vielleicht nicht zu äussern traut: In einer Kapelle in Luzern konnten Besucherinnen und Besucher auf dem Beichtstuhl Platz nehmen – gegenüber sass jedoch kein Pfarrer, sondern ein digitaler Jesus in Form einer Künstlichen Intelligenz.

Das aussergewöhnliche Projekt entstand in Zusammenarbeit zwischen der katholischen Kirche und der Hochschule Luzern. Ziel war es, Menschen einen geschützten Raum zu bieten, in dem sie Fragen zu Themen wie Spiritualität, Liebe, Tod oder Krieg stellen konnten. Viele zeigten sich überrascht, welch intime und einfühlsame Atmosphäre der künstliche Jesus schaffen konnte. Dennoch rief das Projekt auch kritische Stimmen innerhalb der katholischen Kirche hervor. Gerade ältere Gläubige zeigten sich nachdenklich, ob Künstliche Intelligenz und Glaube zusammenpassten.[1]

 

Ein Gottesdienst im digitalen Zeitalter

Auch in Deutschland wagte man ein Experiment: Beim evangelischen Kirchentag 2023 fand ein Gottesdienst statt, der vollständig von Künstlicher Intelligenz gestaltet wurde. Der Theologe Jonas Simmerlein erstellte mithilfe von ChatGPT die Predigt, verschiedene Gebete sowie auch die musikalische Begleitung. Mehr als 400 Besucherinnen und Besucher erlebten auf der Bühne keinen realen Prediger, sondern menschenähnliche Avatare, die über eine grosse Videoleinwand eingeblendet wurden. Obwohl die Predigt inhaltlich positiv ankam, waren die Rückmeldungen nach dem Gottesdienst überwiegend kritisch. Viele empfanden die Atmosphäre als unpersönlich und emotionslos. Vereinzelte positive Stimmen fanden dieses Projekt eine «coole Sache».[2]

 

Vater, Sohn und Künstliche Intelligenz

Wie der Name andeutet, lud die Kirchgemeinde St. Markus in Hamburg dazu ein, den Dialog zwischen Technologie und Glauben zu suchen. Im Rahmen einer Ausstellung wurden Besucherinnen und Besucher dazu angeregt, spirituelle Erfahrungen mithilfe Künstlicher Intelligenz zu machen. Ähnlich wie beim Jesus-Avatar in Luzern konnte man mit «Deus Ex Machina» ins Gespräch kommen, was für eine niedrige Hemmschwelle sorgen sollte. Ob eine Predigt, ein Bibelzitat oder ein Segen: Die KI ging auf persönliche Bedürfnisse ein und machte den Kirchenraum auf neue, unerwartete Weise erfahrbar.[3]


Martin Luther im 21. Jahrhundert

Am Reformationstag 2023 wurde Martin Luther digital neu zum Leben erweckt: Ein KI-gesteuerter, fotorealistischer 3D-Avatar von Luther wurde gebaut, um die Botschaft der Reformation für die Gegenwart lebendig zu machen. Fragen konnten live über den YouTube-Chat gestellt werden – der digitale Luther antwortete im Stil eines reformatorischen Denkers des 21. Jahrhunderts. Eine zukünftige Chance für diesen Avatar wird vor allem im Religionsunterricht oder in der Konfirmandenarbeit gesehen.[4]

[1] vgl. https://www.srf.ch/news/schweiz/religioeses-experiment-ki-jesus-in-luzern-sogar-der-vatikan-hat-sich-erkundigt (8.5.2025).

[2] vgl. https://www.evangelisch.de/inhalte/217045/09-06-2023/alles-aus-der-maschine-kirchentag-feiert-deutschlands-ersten-ki-gottesdienst (8.5.2025).

[3] vgl. https://ki-kirche.de/ (8.5.2025).

[4] vgl. https://theonet.de/2023/10/27/martin-luther-im-21-jahrhundert-ki-gesteuerter-3d-real-life-avatar-beantwortet-live-fragen-auf-youtube/ (8.5.2025).

Jaël Schultze ist Praktikantin Medien und Kommunikation bei der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA.

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